Hochsensibilität: Kennst du diese typischen Sprüche? „Nimm dir doch nicht immer alles so zu Herzen!” „Wenn du in dieser Welt bestehen willst, musst du dringend stärker werden!” Ich weiß nicht mehr, wie oft ich solche und ähnliche Sätze von meiner Kindheit an in unterschiedlichsten Lebenssituationen schon gehört habe. Aber jedes Mal war einmal zu viel.
Ist Hochsensibilität echt zum Abgewöhnen?
Das stärkste Gefühl, das aufkam, war Scham, begleitet von Hilflosigkeit und Traurigkeit. Später kam auch Wut dazu, so etwas schon wieder hören zu müssen und Selbstablehnung. Warum konnte ich nicht so sein wie andere Menschen? Dabei sind diese Sprüche oft sogar gut gemeint, nur … nun ja, wie soll ich es ausdrücken … eben ziemlich unsensibel!
Denn ist Hochsensibilität etwa eine Charakterschwäche, die man sich besser schnell abgewöhnen sollte? Ganz bestimmt nicht! Mittlerweile begreife ich meine Hochsensibilität als einen wichtigen Bestandteil meines Wesens, als eine Gabe, die alle Lebensbereiche prägt. Das war jedoch nicht immer so. Da meine Hochsensibilität in meiner Kindheit und Jugend sowohl von der Familie, vom Freundeskreis und von Meistern kritisiert wurde, begann ich sie selbst abzulehnen.
Ich versuchte vor allem zunächst im spirituellen Bereich, mich von meiner feinen Wahrnehmung zu distanzieren. Auf körperlicher Ebene ignorierte ich mein feines Empfinden häufig und ging über meine Grenzen, was sich negativ auf meine Lebensqualität auswirkte. Seelisch mutete ich mir ebenfalls viel zu viel zu. Da ich es nicht gewohnt war, liebevoll angenommen zu werden und für mich selbst wenig übrig hatte, geriet ich immer wieder in schwierige zwischenmenschliche Konstellationen. Erst nach einer jahrelangen Odyssee erkannte ich nach und nach, dass meine Schwierigkeiten in verschiedenen Lebensbereichen mit der Ablehnung meiner Hochsensibilität zu tun hatten.
Hochsensibilität ist etwas Wunderbares und birgt gleichzeitig auch Herausforderungen. Wäre es nicht wünschenswert und zielführend, hochsensiblen Kindern Wertschätzung entgegenzubringen und ihnen zu zeigen, wie sie sich entfalten und Herausforderungen konstruktiv meistern können? Jeder Mensch, ob hochsensibel oder nicht, hat seine Stärken und Schwächen, seine Lebensthemen und eine Menge Entwicklungspotential. Wie sollen sich Hochsensible zu selbstbewussten und resilienten Persönlichkeiten entwickeln, wenn sie bereits im zarten Kindesalter Ablehnung erfahren? Das kann sehr schwerwiegende Folgen für alle Lebensbereiche haben.
Liebe Hochsensible, liebe Eltern und Familienmitglieder von Hochsensiblen, es ist keine gute Idee, die Hochsensibilität abzulehnen, zu ignorieren oder sie gar zu bekämpfen. Bitte nehmt die Hochsensibilität an und lernt sie zu lieben. Dieser Wesenszug möchte genährt und gefördert werden. Wenn hochsensible Menschen die Chance haben, sich zu entfalten, sind sie für ihr Umfeld eine Bereicherung von unschätzbarem Wert.